Nachlese METEC & 6th ESTAD
VDEh begrüßte über 1.300 Teilnehmer zur 6. ESTAD
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Vom 12.-16. Juni 2023 fand in Düsseldorf mit der „METEC & 6th ESTAD“ wieder die größte Eisen- und Stahlkonferenz Europas statt. Das Stahlinstitut VDEh richtete die Konferenz parallel zur Metallurgie-Leitmesse METEC aus, die Teil des Messe-Quartetts GIFA, METEC, THERMPROCESS und NEWCAST war. Diese „Bright World of Metals“ und die ESTAD machten Düsseldorf für eine Woche wieder zum metallurgischen Nabel der Welt. Allein zur Konferenz kamen 1.300 Teilnehmer aus über 40 Ländern.
Als der VDEh vor zehn Jahren die European Steel Technology and Application Days (ESTAD) gründete, sollte damit eine europäische Metallurgie-Konferenz als Pendant zu den großen Kongressen in Nordamerika und Asien entstehen. Die Idee war eine Leitkonferenz, auf der Stahlhersteller, Zulieferer, Anwender, Universitäten, Forschungsinstitute und Anlagenbauer zusammenkommen. Der Plan ging auf: Von Beginn an war die Resonanz auf das neue Konferenzkonzept groß, und auch in diesem Jahr war die ESTAD mit knapp 550 Vorträgen wieder die größte Stahlkonferenz Europas. Stahlexperten von 240 Unternehmen aus 33 Ländern hielten Vorträge zu den Themen Ironmaking, Steelmaking, Rolling & Forging, Industry 4.0, Steel Materials und Hydrogen-based Steelmaking. Die stärksten Länder waren Deutschland, Österreich, Italien und Schweden – die Nationen, aus denen die Kooperationspartner VDEh, ASMET, AIM und Jernkontoret sowie die größten Stahlindustrien Europas kommen. Jenseits des Atlantiks waren die USA, Kanada und Brasilien stark vertreten, aus Asien vor allem Südkorea und Japan. Branchenmäßig lag der Anlagenbau angesichts der anstehenden Transformation vorne.
Trotz der breit gestreuten Themenfelder stand die ESTAD in diesem Jahr unter dem Vorzeichen „Wasserstoffbasierte Stahlherstellung“. Davon zeugte nicht nur die eigene Konferenz-Session mit über 100 Vorträgen, sondern auch eine ganztätige Keynote-Session unter dem Motto „The steel industry on its way to green steel“. Der VDEh konnte knapp 20 hochrangige Entscheidungsträger dafür gewinnen, ihre Strategien und Lösungen für eine CO2-neutrale Zukunft vorzustellen. Das Gros dieser Referenten kam aus Europa, aber mit Ronald Ashburn von der AIST und Shin Myounkyung von POSCO wurden z. B. auch amerikanische und südkoreanische Zukunftspläne präsentiert.
Nach einem Get-together am Vorabend der Konferenz, eröffnete Schirmherrin Heike Denecke-Arnold, COO thyssenkrupp Steel Europe, die Veranstaltung offiziell am Morgen des 13. Juni mit einem Vortrag über die ESTAD-Historie mit ihren eindrucksvollen Daten und Fakten. Sie betonte, dass die ESTAD für die Transformation der Stahlindustrie genau zur richtigen Zeit käme. Auch Henrik Adam, Vorsitzender des Stahlinstituts VDEh, hob die bedeutende Rolle der METEC & ESTAD bei der Transformation hervor: Konferenzen wie auch Messen seien ein Dreh- und Angelpunkt für Kommunikation, Ideen und Know-how. Menschen aus der ganzen Welt – im Falle der ESTAD aus über 40 Ländern – kommen zusammen, um sich weiterzubilden, Netzwerke zu knüpfen sowie Meinungen und Argumente auszutauschen. Damit stelle sie einen wichtigen Baustein für die Transformation dar. Sie werde die Bühne sein, die europäische Transformation der Welt zu präsentieren, denn die CO2-Neutralität darf nicht an unseren Grenzen enden, so Adam. Dies betonte auch Gastredner Karsten Pinkwart, Mitglied des Nationalen Wasserstoffrates, in seinem Opening über Erzeugung, Transport und Lagerung von Wasserstoff.
„Die METEC und 6. ESTAD kommt für die Transformation der Stahlindustrie genau zur richtigen Zeit!“
Dr. Heike Denecke-Arnold,
Konferenz-Schirmherrin und COO thyssenkrupp Steel Europe
„Die METEC und 6. ESTAD ist ein Dreh- und Angelpunkt für Ideen, Meinungen und Argumente.
Damit stellt sie einen wichtigen Baustein in der Transformation der Stahlindustrie dar.“
Dr. Henrik Adam, Vorsitzender Stahlinstitut VDEh
Im anschließenden Programm der ganztägigen Keynote-Session zur CO2-Neutralität stellten Entscheidungsträger aus Stahlindustrie, Anlagenbau und Verbandsarbeit ihre Konzepte und Lösungen auf dem Weg zum grünen Stahl vor. An dieser Stelle können nur einige exemplarisch erwähnt werden:
Peter Juchmann, Leiter Technologieentwicklung Direktreduktion der Salzgitter Flachstahl, zeigte, dass mit dem werkseigenen SALCOS-Projekt und einer optimierten Kreislaufwirtschaft eine klimafreundliche Primärstahlerzeugung bereits ab 2026 möglich sei – und im nächsten Schritt CO2-Einsparungen von bis zu 95 % im Jahr 2033. Luc Bol, Director Optimization Iron & Steel bei Tata Steel IJmuiden, verdeutlichte, dass für einen erfolgreichen und nachhaltigen Übergang neben grünem Wasserstoff und erneuerbaren Energien auch die staatliche Unterstützung sowie rechtzeitige und sorgfältige Genehmigungen notwendig seien. Heike Denecke-Arnold stellte die Prozesssicherheit bei der grünen Stahlherstellung in den Vordergrund. Sie betonte, dass im Projekt tkH2Steel die Produktionsprozesse im Stahlwerk inklusive des Konverters bestehen bleiben. Bewährte Qualitätskonzepte müssten somit nicht verändert werden, und die Stabilität in den Zulassungsprozessen sei weiterhin gewährleistet. Myungkyun Shin, Senior Vice President POSCO, stellte das Projekt HyREX vor, dessen Technologie ein wichtiger Faktor im zukünftig angespannten Markt für Direktreduktions-Pellets werden kann: die Erzeugung von DRI (Direct Reduced Iron) aus Feinerzen ohne vorgeschaltete Agglomeration.
Die Elektrostahl-Unternehmen sind prozessbedingt schon heute in der Klimaneutralität einen Schritt weiter. Doch auch sie stehen vor großen Herausforderungen: einerseits die Umstellung des Energieeinsatzes im Lichtbogenofen auf 100 % Ökostrom, andererseits die Auswirkungen der Transformation auf den Schrottmarkt. Genau an diesem Punkt setzten die Ausführungen von Jean-Frédéric Castagnet an, Director Technology & Innovation der Georgmarienhütte, der die Notwendigkeit der Weiterentwicklung von Kreislaufwirtschaft und Circular Economy hervorhob. Thomas Reiche vom FEhS-Institut wies anschließend darauf hin, dass noch viel Forschungsarbeit notwendig sein wird, um die Qualität und Eigenschaften der neuen Schlacken der CO2-neutralen Stahlherstellung zu erhöhen, so dass sie ein ähnlich gefragtes Produkt auf dem Markt sein können wie der heutige Hüttensand.
Wer einen Eindruck der Konferenz gewinnen möchte oder selber da war und noch einmal den Besuch Revue
passieren lassen möchte, kann dies gerne mit diesem kurzem Film tun:
Besonderes Augenmerk galt auch den technologischen Lösungen der Anlagenbauer für die grüne Stahlherstellung, deren Innovationskraft mitentscheidend über den Erfolg der Transformation sein wird. Im Fokus standen insbesondere die verschiedenen Möglichkeiten der wasserstoffbasierten Direktreduktion sowie des anschließenden Einschmelzens des DRI im Electric Arc Furnace und im Open Bath Furnace bzw. Submerged Arc Furnace. Vollkommen einig waren sich alle Anlagenbauer darin, dass sich der Übergang weltweit mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und über Jahrzehnte hinziehen wird. Die EU, die USA und die asiatischen Industrienationen würden mit der Installation der grünen Stahlherstellung beginnen, aber Politik und Märkte werden Zeit brauchen, um Anreize und Bedingungen für die grüne Transformation zu schaffen. Insbesondere die Festlegung einer Definition von „Grünstahl“, eines grünen Labelsystems und die Schaffung grüner Leitmärkte stellen hierbei die Herausforderungen dar.
In den knapp 550 Fachvorträgen des zweiten und dritten Konferenztages konnten sich die Teilnehmer umfassend informieren über die neuesten Entwicklungen in den Themenfeldern Eisen- und Stahlerzeugung, Walzen und Schmieden, Digitalisierung und Industrie 4.0, Oberflächentechnologie, Stahlwerkstoffe und additive Fertigung sowie natürlich CO2-Minderung, Umweltschutz und Energie. Session-übergreifend waren die inhaltlichen Schwerpunkte die Direktreduktion, die Wasserstoff-Metallurgie, das Einschmelzen von DRI, KI in der Produktion bis hin zum selbstlernenden Stahlwerk, Modellierung der Prozesse, Optimierungen der Kreislaufwirtschaft, Reinheitsgrad von Stählen, neue Stahlwerkstoffe und additive Fertigung. Mit diesen Schwerpunkten bediente die ESTAD einerseits die zwei großen Themen Dekarbonisierung und Digitalisierung, andererseits aber auch die traditionellen Themen der Eisen- und Stahlherstellung. Nach drei Vortrags- und Diskussionstagen schloss die ESTAD am 16. Juni ihr Programm mit Werksbesichtigungen bei thyssenkrupp Steel, Hüttenwerke Krupp Mannesmann, ArcelorMittal Duisburg, Tata Steel IJmuiden und Deutsche Edelstahlwerke Specialty Steel Witten.
Mit ihren Teilnehmer- und Vortragszahlen sowie dem breiten und modernen Themenspektrum konnte die ESTAD eine absolute Erfolgsstory schreiben. Doch darüber hinaus freute sich das Stahlinstitut VDEh als Veranstalter besonders, nach der jahrelangen Pandemie nun wieder Metallurgen und Werkstofftechnikern aus der ganzen Welt eine Plattform geben zu können, um sich weiterzubilden, Ideen auszutauschen und zu diskutieren. Denn ohne dies wird die Transformation nicht gelingen.